2010-06-26/27 Nortorf 24 – ein Sommermärchen

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Herman
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2010-06-26/27 Nortorf 24 – ein Sommermärchen

Beitrag von Herman »

Der Winter und seine Folgen hatte mich lange in seinen Klauen, jetzt aber sollte es auf einen Schlag Sommer werden und gleich zur Sonnenwende mit der 24-Stunden-Fahrt mit 7 Zweier-, 18 Viererteams und dem 24-Stunden-Radmarathon mit 29 Einzelfahrern, darunter 5 Frauen, ein großes Fest für die Radlerwelt im Norden starten, mit Einordnung in den fließenden Verkehr und zwei Ampeln kein Rennen, wegen Zeitmessung und Platzierung auch keine RTF – also ein Zwitter nach meinem Geschmack.

Zu einer solchen Veranstaltung habe ich ein besonderes Verhältnis. Es war im Juli 2006 anlässlich des Bundes-Radsporttreffens (BRT) in Kiel, als die RG selbst eine 24-h Fahrt für Einzelfahrer durchführte, damals auch unter der Federführung von Bernd Schmidt. Zu Beginn mussten die 15 bis 20 Fahrer (darunter auch zwei Mädels) eine große Runde von 250 km zurücklegen, zum Abschluss eine kleinere von 150 km, dazwischen konnte im Depot in Fargau geruht oder auf einer kleinen Nachtrunde gefahren werden, wer hier die meisten Runden drehte, würde gewinnen, was schließlich Stefan L. mit 600 km gelang. Das hatte mich fasziniert, da musste ich hin, bei Start und Ziel an der Halle 400 war ich dabei und die ganze Nacht im Depot als Edelhelfer, diese Menschen musste ich sehen, bestaunen, erleben, so etwas kann es doch gar nicht geben, hatte ich mich gerade mit meiner ersten RTF über ca. 70 km an meine Grenzen gebracht. Niemals jemals hätte ich mir eine eigene Teilnahme als Einzelfahrer bei einem 24-Stunden-Radmarathon vorstellen können.

Ich mag’s kaum glauben, aber nun bin ich selbst dabei, komme zwar an die Großen der Branche nicht ran, aber man kennt, respektiert sich, jeder an seinem Platz. An Platzierung mochte ich beim Blick in die Meldeliste mit 24 männlichen Einzelfahrern nicht denken, konnte ich da doch niemanden entdecken, den ich jemals schon mal überholt hätte. Die Hälfte der Namen war mir bekannt, die andere Hälfte würde sicher auch besser sein, denn wer reist schon aus Berlin oder Westfalen an, um hier auf der Strecke zu bleiben? Angemeldet hatte ich mich nie, sondern unzählige Fragen an Bernd gestellt, der dann im Urlaub daraus den FAQ-Katalog erstellte. Wer so viel fragt, will offensichtlich dabei sein, zur Belohnung für meinen Eifer, erhielt ich die Startnummer 1, die von mir eher als Bürde empfunden wurde.

Einmal noch ausschlafen, dann würde er da sein, der große Tag, ein großes Fest sollte es werden, die Straßenränder Nortorfs geschmückt mit frischen Birkenbäumchen, am Startgelände mit „Conquest of Paradise“ von Vangelis mitreißende Musik, die unter die Haut geht, unübersehbare, Fähnchen schwenkende Menschenmassen sammeln sich am Mittelpunkt und rufen „Wir sind das Volk, wir wollen die Nr. 1“. Ich muss also nach vorne, freundlich lächeln und winken, mich unzählige Male mit Fans ablichten lassen und schon am Start Autogramme geben. Ein Dutzend Motorräder begleiten unseren Zug aus der Stadt, dazu ein dröhnender Hubschrauber über uns, übertönt von den wiederkehrenden Rufen „Wir sind das Volk, wir wollen die Nr. 1“.

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kurz nach dem Start mit Günter (Günni), Peter Polizei von RSG Mittelpunkt

Es ist Samstagmorgen 6 Uhr, ich wache auf und muss mich der Wirklichkeit stellen. Die sieht gar nicht so schlecht aus, herrlichstes Sonnenwetter, gewohnt herzlicher Empfang in Nortorf, eine mir bekannte Strecke von 28 km, das Dreieck Nortorf-Aukrug-Oldenhütten-Nortorf, viermal rechts abbiegen, sonst nur geradeaus, bis schließlich auf der langen Geraden von Bargstedt nach Osten die Kirchspitze von Sankt Martin auftaucht und das Rundenziel greifbar scheint. Als Gesamtziel hatte ich die 500er Marke im Visier, wenn es gelingt, eine geeignete Gruppe zu finden, darf es gern auch ein bisschen mehr sein, 532 oder 560, nur welche Faszination geht von solchen Zahlen schon aus, warum sich dafür abstrampeln, wenn die 600er Marke utopisch bleibt? Mein besonderer Dank gilt Peter Polizei – schon in dieser Disziplin erfahren, der auch Initiator für diese Veranstaltung gewesen ist und sich in den ersten fünf Runden eifrig um mich und eine harmonische Gruppe bemüht, mich aber schließlich freigegeben hat. Auf den flachen Teilstrecken mochte ich einer vorwärtsdrängenden Gruppe noch nützlich sein, den alpinen Teil im Naturpark Aukrug wollte ich mit allen Sinnen für die Schönheiten der Natur zelebrieren, was eine bedächtigere Fahrweise und auch schon mal einen kontemplativen Halt bedeutete (in Kollegensprache ist da ein Mehlsack auf der Straße liegengeblieben). So strampelte ich denn mit der Unbefangenheit eines Waldbauernbubs allein vor mich hin, hangelte mich von Runde zu Runde. war hin- und hergerissen im Überschwang der Gefühle, geriet ins Philosophieren – „ich radle, also bin ich“, war mein Mantra oder „einem Randonneur ist nichts zu schwör“, wenn diverse Zipperlein auftraten, die sich nicht ändern ließen, wie zum Beispiel höllisch brennende Fußsohlen oder Nackenstiche, als hätte ich ein Hornissennest als Kopfkissen gehabt. Einen Pausenplan hatte ich nicht, auf Schlaf kann man mit 62 schon mal verzichten, eigentlich war ich ohne Strategie, wollte mich mit wenig Krafteinsatz einfach so treiben lassen, diese Tour genießen. Ich hatte zwar nicht systematisch trainiert, aber genügend km in den Beinen, besonders der nur mit Apfelschorle überstandene 400er Anfang Juni gab mir Zuversicht, zweimal Marathon hintereinander nur eine Woche vor dem Termin, davon die Mittsommertour bei Nacht und Regen, war allerdings grenzwertig, ist aber nochmal gutgegangen. Zwischen Qual und Freude gibt es ein breites Feld der Selbsterfahrung, damit richtig umzugehen ist eine Kunst, um schließlich glücklich das Ziel zu erreichen.

Es war eine famose 24-Stunden-Premiere im Norden, für mich Saison-Höhepunkt dieses Jahres, spannend von der ersten bis zur letzten Stunde, erlebnisreich durch die Vielfalt der Natur im Wechsel von Tag/Nacht mit einem wunderschönen Vollmond. Beim Lobgesang auf die Nebelschwaden im Morgenrot bleibt mir allerdings die Erinnerung an ein Gefühl klirrender Kälte, da ich als Extraprüfung auch die Nacht in kurz/kurz gefahren war.

Geprüft wurde auf Runde 16 auch mein Verhältnis zur Technik, als der hintere Schaltzug oben am Hebel gerissen war und ich mit nur einem Gang noch zwei volle Runden fahren musste, die ich notfalls mit dem Rad als Roller treten wollte. Ein nachfolgender Rider hielt sofort an und gab mir den Tipp, die Kette überkreuz zu legen. Andere wunderten sich dann über die rasselnden Geräusche und meinen ächzenden Vortrieb, aber Fixie fahren will erst wieder gelernt sein. Ich ließ mir Zeit, um ja nicht in Versuchung für eine Extrarunde zu kommen, wurde eine Stunde vor Zielschluss um 8:59 das letzte Mal mit dem BURSI-System gescannt - wie ein Packerl Butter an der Kasse, fuhr nach 504 km aus der 18. Runde als meiner Zielrunde raus, Klappe zu, Affe tot.

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mein Rad und ICH - nach 23 Stunden im Sattel

Herzliches Hallo von allen Seiten, die Teams waren noch im Rennfieber, die letzten Fahrer wurden mit Spannung erwartet, denn bei Rundengleichstand ging es für die Platzierung jetzt um Zeit. Ganz im Taumel und Freude über das Erlebte lief ich Oma Lille in die Arme, die mich weise auf die wichtigen Dinge im Leben aufmerksam machte und von einem üppigen Frühstücksbuffet und sogar Schokopudding zu berichten wusste. Bei der Versorgung auf der Strecke hatte ich auf Datteln gesetzt, alle 10 km eine, daraus wurde später jede Runde eine. Eine einzelne mag so lecker sein wie eine belgische Praline, in der Menge mochte ich sie nicht mehr sehen. Meine neue Getränkemischung hat sich ebenfalls nicht bewährt, die feinsten Zutaten aus Ananas, Buttermilch und Bio-Zitrone brachen zu einer trüben Brühe mit muffigem Geruch und abstoßendem Geschmack zusammen, daher trank ich wohl zu wenig. Hoffentlich werden mich die beiden Super-Randonneure K & A nicht steinigen, an die ich die Mischung als Geheimrezeptur weitergegeben hatte. Ein Labsal in der bis zu 5° kalten Nacht war die warme Nudelsuppe im Casino, danach lief es wieder rund, ob nun bio oder nicht, man soll bei einer solchen Belastung nur essen, was schmeckt.

Es waren viele Helfer vor Ort, reger Wechsel am Scanner tagsüber, die Nacht teilten sich wenige Unermüdliche. Um Mitternacht sah ich noch Andrea, ihre aufmunternde, herzliche Ausstrahlung brachte mich mindestens zwei Runden weiter. Bernd ist omnipräsent, jeder Teilnehmer mag meinen, er sei zu jeder Tages- und Nachtzeit nur für ihn da, ob bei der Anmeldung, beim Start, im Casino, der Boxengasse oder auf der Strecke. Über alles, was da auf seinem Ring vorgeht, ist er informiert oder fährt selbst raus auf der Suche nach Havarierten. Man hat kaum eine Chance mal zu verschwinden, ohne dass gleich ein Peugeot-Service-Löwe anhält und das am Straßenrand abgestellte Rad auf eine Panne untersucht wird.

Schlussendlich gibt es auch eine Siegerehrung, nur da habe ich normal nix zu suchen. Umso überraschender der Aufruf für mich, nach vorne zu treten und mich in der ersten Hälfte der Einzelfahrer einzureihen – ein erhebender Moment für alle, die wir zusammen auch sonst unzählige km gemeinsam gefahren sind, denn alle fühlen sich als Gewinner, einer mit verwegenen 756 km Tagesleistung wird zum Sieger erklärt. Den meisten ging es weniger um Platzierung und Kilometerleistung, als um das besondere Erlebnis, einen Tag rund um die Uhr auf dem Rad zu sein, der Aufdruck auf dem Trophäenhemdchen „24-Stunden - mein Rad und ICH“ trifft es ganz gut. Welche Farbe dieses Shirt wohl hat? Ja, es ist orange, der Verein fliegt drauf, Myriaden von Minifliegen tun es auch, bei meinem ersten Ausflug konnte ich mich kaum noch retten.

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Siegerehrung 1.Erik 2.Dirk, Holger, Michael, Thomas 3.Hans-Hermann, Peter M (Bernd) Ralf, Hermann, Gerhard, Peter P, ICH, Günter

Es war eine runde Sache mit vielen kleinen Freundlichkeiten am Rande, großer Sport in der Provinz, bei gemeinsamer Männerwertung (ohne die sonst üblichen Altersklassen) drei Generationen mit einem Altersunterschied von über 40 Jahren auf dem Treppchen. Nortorf ist für Radler ein befriedetes Gebiet, die Richtungsschilder informierten plakativ auch die Bevölkerung, nirgendwo gab es Stress mit dem Kraftverkehr, obwohl auch einige Motorbiker unsere Strecke zum Cruising entdeckt hatten. Eigentlich mache ich solche extremen Dinge nur einmal, um mal dabei gewesen zu sein, aber hier würde ich gern abonnieren, getrost nach dem Motto der VR-Hauptsponsorin „Wir machen den Weg frei“ – für noch mehr Kilometer und noch mehr Spaß, alle miteinander.
Zuletzt geändert von Herman am Do Jul 08, 2010 08:57, insgesamt 3-mal geändert.
Je länger die Strecke, desto unbedeutender die Zeit, da allein die Bewältigung der Strecke zu einer eigenen Leistung wird.
Sven
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Beitrag von Sven »

Hallo Herman,

danke nochmal für den schönen Bericht...prima Leistung!!!


Nochmal hier eine kleine Anleitung zum Bilder-rein-stellen:

1. Grundsätzlich: Die 3 Bilder sind mit komplett 10mb zu groß.

2. Bitte das nächste mal also beim absichern als JPEG mit KLEINER Auflösung aus Deinem Bild-Programm, also jeweils 100-600kb...

2. Dann kannst Du die Bilder gerne auch ins Internet hochladen damit Du sie hier verlinken kannst.

Dies geht z.B. bei:
www.picasaweb.google.com

Das ist ausserdem ein "prima-internet-foto-album"!!

Bild einfügen ist ganz einfach:

1: Du kopierst den link z.B. http://lh6.ggpht.com/_wC4gRDIYN8w/TDODL ... G_5414.jpg

2: Dann drückst Du oben in der "Buttonliste" auf "Img" und bekommst ein:
[img]

3: Jetzt kopierst du " http://lh6.ggpht.com/_wC4gRDIYN8w/TDODL ... G_5414.jpg
" rein

4: und drückst oben in der Buttonliste auf "Img*" und bekommst ein [/img])

Sieht dann ungefähr so aus:

[img]Hermansbild.jpg.[/img]

und dann nach klicken auf "Vorschau" oder "Absenden" und FFERRRRTIG..

Das mit dem hier "Einfügen" kann ich vorerst für Dich übernehmen aber die Bilder auf die richtige Größe skalieren und "ins internet bringen" musst Du bitte selber versuchen, das ist kein Hexenwerk und für mich auf Dauer zuviel Arbeit... :wink:

Ciao,
Sven
Zuletzt geändert von Sven am Sa Jul 10, 2010 05:57, insgesamt 2-mal geändert.
tschüss...man sieht sich!
Calli

Beitrag von Calli »

Super Leistung Herman! Auch dank der Bilder ein sehr schöner Bericht.

Wenn der Termin nicht mit meiner Alpentour kollidiert hätte, wäre ich auch dabei gewesen. Wäre vermutlich aber nicht annähernd an die 756km von Erik M. ran gekommen...
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