22.05.05 Focus Discover Freedom Marathon

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Jens

22.05.05 Focus Discover Freedom Marathon

Beitrag von Jens »

Altenau im Harz. Hier findet mein persönliches Lieblings-MTB-Marathon-Rennen statt. Die Veranstaltung, die mich weg vom XC hin zur langen Distanz brachte. Dieses Jahr sollte es dann sogar die ganz lange 112 km Distanz sein.

Das Wetter und meine Laune waren zunächst sehr gut, fast schon euphorisch. Ich rollte gemütlich ohne großen Respekt vor der Strecke in die Startaufstellung. Zwei 210 Kilometer Straßenmarathons und Trainingskilometer wie noch nie, habe ich diese Saison ja schon in den Beinen, was sollte also Großes passieren?

Kurze Zeit später trudelte auch Felix ein und wir bezogen Stellung in der ersten Reihe, um schnell nach vorn weg zu kommen. Maike, unsere Teamkoordinatorin vor Ort, schoss noch die ein oder andere Fotoserie und alles war gut. Auch die Reden der Verantwortlichen und der örtlichen Politiker waren kurz und schmerzlos.

Dann, Bang! Der Startschuss ertönte und der Spaß begann. Felix schoss nach vorn und auch ich blieb im vorderen Drittel. Alles verlief für mich nach Plan. Ich sicherte meine Position, kam gut durch die Streckenverengung, überlebte die fiese Linkskurve und stütze mich tapfer in die Abfahrt. Ja, selbst die unmittelbar folgende Flussdurchfahrt war kein Problem.

Nach dem kühlen Nass folgte der erste Anstieg. Alles kein Problem dachte ich, wie im Training schnell vorn aufs kleine Blatt und dann den Hügel hoch. Gesagt getan. Doch halt, statt zu schalten kam lauter Protest und wirres Geklöter von unten aus dem Bereich der Kettenblätter. Weder Kette und Umwerfer wollten so wie ich wollte. Zack, der Schwung war weg, aber dann läuft man halt den Berg hoch.

Oben schaltete es dann auch wieder so wie es sollte. Nun gut, kann ja mal passieren und die verlorenen Plätze sind auch kein Grund für allzu große Trauer. Es folgte eine rauschende Abfahrt auf Asphalt, bevor der Anstieg zum alten Bahnhof in Altenau zu erklimmen war. Hier verlief es zunächst wieder recht gut. Bis zur Hälfte war alles klar, dann folgte dieses zischende Geräusch, was ich in letzter Zeit viel zu oft hören musste. Der Kollege neben mir hatte wohl einen heftigen Platten, so wie es pfiff. Warum wird dann aber mein Rad hinten schwammiger? Ich verstand langsam. Ich hatte den Platten.

Oben angekommen passierte mich folglich das ganze Feld, während ich meine Tubeless - nun auch Airless - Reifen von der Felge wuchtete und einen Schlauch einzog. Sogar die Quads, die hinter dem Feld fuhren, sausten vorüber. Ganz toll, die Motivation für Heldentaten war gebrochen. Aufgeben? Wegen eines Platten? Das konnte keine ernsthafte Alternative sein. Ich machte mich also allein ans Werk.

Leider hatte keiner der zahlreichen Streckenposten eine Standpumpe bei sich, so dass ich mit ca. 1 – 1,5 bar Druck im Hinterrad durch die Gegend fuhr. Es folgte der ewig lange ganz langsam ansteigende Hauptanstieg, eine Wurzelpassage und eine schnelle Abfahrt. Der fehlende Druck im Reifen war vor allem bergab wirklich kritisch. Dann kam der Geistesblitz, zwischen den Müsliriegeln fand ich in deiner Trikottasche mein Handy. Die Rettung. Ich rief kurz beim Teamsupport an und bestellte eine richtige Pumpe kurz vor die Durchfahrt in die nächste Runde. Das Problem Luft war nun geklärt.

Im folgenden ging es einsam für mich weiter. Ich fuhr wohl zwischen den Feldern. Hinter den 112ern, aber noch vor den 56ern. Allein ging es durch den Harz. Bei MTB-Rennen ist es aber eher üblich allein zu fahren, so dass die Dramatik nicht allzu groß wurde und mit ordentlich Wut im Bauch ging es auch gut über Stock und Stein. Als ich in einer Matschpassage noch eine Fahrerin auffuhr, ging es mir immer besser. Zum Ärgernis wurden aber meine Müsliriegel, die ich beim besten Willen nicht herunterbekam. Die Teile verdoppelten ihr staubiges und krümeliges Volumen im Mund mindestes um das Doppelte und waren einfach nur ungeeignet. Schade, denn ich nutze sie sonst immer.

Es folgte die zweite Transponderkontrolle an einem Steilstück, dann noch eine Abfahrt und schließlich der Zielanstieg mit meiner Pumpe. Doch vorher nutzte ich noch die Abfahrt, um über meine eigene Trinkflasche zu braten, die sich aus der Umklammerung des Flaschenhalters ohne Genehmigung gelöst hatte. Ich entschloss mich zur Vollbremsung und sammelte die Überreste ohne Verschluss und Inhalt ein, denn von Dehydration stand nichts auf meinem Plan. Was kann eigentlich noch alles passieren?

Im Zielhang dann erreichte ich meinen Sonnenschein und sie gab mir die richtige Pumpe. Schnell waren wieder 3 bar im Hinterreifen und der Spaß konnte endlich beginnen. Für die nächste Runde orderte ich dann noch eine heile Flasche. Mensch, wenn ich Maike nicht gehabt hätte.

Bei der Rundendurchfahrt betrug mein Schnitt 19,80 km/h. Ich war ganz zufrieden. Wut und Zorn sind wohl doch mächtige Verbündete, wie ja schon Georg Lukas kürzlich im Kino feststellte. An der Verpflegung gab es dann auch für mich etwas Essbares. Allerdings ist es schon ungewöhnlich, Bananen in ungeöffneter OVP oder sie halbiert vollkommen nackig anzubieten. Letztere ergeben nämlich eine riesige Sauerei in der Trikottasche und die OVP-Teile überforderten zumindest mich bei der Hatz durch den Harz.

Die zweite Runde verlief ohne große Vorkommnisse. Lediglich der Hauptteil des Inhaltes meiner deckellosen Flasche ergoss bereits in der ersten Abfahrt über meine Beine oder das edle Ross. Die Strecke litt zwar sichtlich unter den vielen Fahrern, aber mir ging es gut. Ein kleiner Bikeschieb, den man hoch radeln sollte, war nur noch ein großer schlammiger Hang - aber alles war gut. Sogar einige Fahrer konnte ich vor mir ausmachen und einholen. Wenig lustig wurde es dann in der einzigen wirklich hakeligen Wurzelpassage, die sich über gut 600 Meter durch den Wald zog. Zwar kannte ich die Wurzel ja schon von der ersten Runde, allerdings schlossen nun immer mehr Fahrer der kurzen Distanz auf. Ich ging mit ca. 10 anderen auf diesen Streckenabschnitt. Da die Jungs wohl richtig fit waren, gingen sie auch gut zur Sache und rissen mich mit. Leider war dem Terrain aber nicht wirklich nach Pogo zumute und so schnell die Kerle auch waren, so schnell lagen auch mind. 3 Leute in den Büschen. Chaos und Hektik pur.

Am Zielanstieg bekam ich dann meine heile Flasche gereicht. Welch ein Service. Der Schnitt lag nun bei 18,90 km/h. Auch damit konnte ich nach gut 56 Kilometern und 1000 Höhenmetern leben. Halbzeit.

Ab durch den Bach, den kettenkillenden Hügel hoch und rauf auf den langen Hauptanstieg. Boaaa, was zog sich dieses Miststück auf einmal. Meine Beine wurden immer schwerer, was mache ich eigentlich hier?, so schießt es mir durch den Kopf. Der Rücken fing auch an zu schmerzen und es ging nur noch langsam weiter. Zum Glück rettete mich die nächste Abfahrt, aber auch die war irgendwann vorüber. Hilfe, ich will nicht mehr. Warum sind Berge bloß so hoch?

In den nächsten Anstiegen wurde es auch nicht besser. Dann in völliger Stille: „RRRUUHHHH, PPPHHUUUU,.........., RRRUUHHH, PPPHHUUUU. Hat der Wahnsinn mich jetzt erreicht, oder ist Darth Vader persönlich hinter mir her? Nein, es ist na klar ein anderer Teilnehmer. Seine Atemtechnik war aber wirklich etwas extrem. Fast schon nervtötend und auf ein Gespräch hatte ich auch gerade keine Lust, aber damit war ich wohl der einzige. Plötzlich begriff ich, dass wir auf einer geraden Fläche waren. Mit letzter Kraft schaltete ich die Kette nach rechts und ab durch die Mitte. Tschüss Darth.

Allerdings folgte dann doch wieder irgendein Anstieg. Es nahm kein Ende. Der Tacho zeigte irgendwas von 60 Kilometern. Leider half auch mein Trick mit dem Umschalten auf Maximalgeschwindigkeit nichts, denn die stand auch bei 60 km/h. Wirklich zu dumm. Die Moral litt sichtlich.

Hätte ich doch bloß ein Fully, dann wäre alles besser. Ein Fully? Wozu ein Fully? Ich fahre einfach nur noch Rennrad und vergesse die letzten 9 Jahre im Gelände. Aber warum eigentlich Rad fahren, wenn die Hälfte aller Bundesbürger selbst zum Zigaretten holen ein Auto nimmt? Ich habe doch auch eins und alles ab 500 Meter Distanz kann man ruhig mit dem Auto in Angriff nehmen, oder?

Soll ich weiter fahren? Wozu weiterfahren ? Ich halte einfach bei der nächsten Zieldurchfahrt an und höre nach drei Runden auf. Ja, das ist gut. Die Moral ist dann zwar völlig hin, aber was soll es, ich fahre je eh nie wieder mit dem MTB. Ich hasse es schließlich, oder?

Dann kam der Zielhang. Evtl. habe ich ja Glück und es ist schon 16.00 Uhr und ich werde aus dem Rennen genommen, dann muss ich ja gar nicht aussteigen, dass wäre dann wohl höhere Gewalt oder so was in der Art. Ich schaltete am Tacho um und sch..... Das Teil erzählte was von 14.55 Uhr. Eine Stunde für 300 Meter, das wird wohl nichts!

Ich rollte zur Verpflegung und griff das Übliche. Schaute noch kurz dumm und nahm die vierte Runde in Angriff. Vor der Dunkelheit werde ich wohl schon ins Ziel kommen. Gleich nach dem Bach schob ich den Anstieg hoch, schließlich war ich ihn heute schon 2,5 mal gefahren, das musste reichen. Ich glaube, ich war ein Bild des Jammers.

Am langen Anstieg ließ ich auch noch Darth Vader samt Fully passieren. Ich konnte einfach nicht mehr und musste erstmal anhalten. In einem Rennen, na ganz toll, aber der Akku war einfach leer und Darth Vader war nicht mehr in Sichtweite.

Ich quälte mich weiter und sorgte im folgenden für den unterirdischen Rundenschnitt von 14 km/h. Aufgeben kam aber nicht mehr in Frage. Ich wollte weiter. Offensichtlich wollte das Wetter aber nicht mehr. Es regnete. Meine Windweste und die Armlinge waren sicher bei Maike am Zielhang. Warum auch nicht, so blieben die wenigstens trocken. Was soll eigentlich noch alles passieren?

Ganz einfach, hinter der nächsten Kurve fand ich wieder Anschluss. Eine kleine Gruppe zog sich gerade die Regenjacken über und entschwand dann aber am nächsten Berg. Toll, aber immerhin 90 Kilometer standen auf dem Tacho. Ich fing mich wieder, denn nun ist das Ziel nahe - redete ich mir ein.

Ein einzelner Biker kam in Sicht. Ich taufte ihn Mr. Specialized wegen seines Rades. Leider erreichte ich ihn aber nie ganz, denn immer wenn ich dran war, zog die Sau an, aber das weckte meine Lebensgeister. Dich krieg ich schon! Er entschwand dann aber schließlich doch.

Also ging es wieder allein weiter, aber nun hatte ich ja ein Ziel und wahnsinnig fit kann der ja auch nicht mehr sein. Nach einer Abfahrt kurz vor Schluss kam ich bis auf 3 Meter im Gegenhang an ihn heran. Die nächste Abfahrt ging an ihn.

Es folgte eine lange Gerade in der Ebene vor dem Berg mit der Transponderkontrolle. Ich gab alles und Mr. Specialized gab schließlich nach. So, das wäre geschafft, er fiel sichtlich ab und bis ins Ziel ist es nun wirklich nicht mehr weit.

Den Berg bis zur Kontrolle schob ich. Mr. Specialized auch, aber er kam wieder ran. Nun bin ich der Gejagte. Die vielen Gefahrenstellenschildern in der nächsten Abfahrt habe ich übersehen, denn es ging hier um die Ehre. Um die des ganzen Teams jawohl. Ich glaube, ich flog den Downhill nur so herunter.

Dann der Schlussanstieg. Ich hatte 15 Meter Vorsprung und merkte, Mr. Specialized wollte es auch. Mein Vorsprung sank auf gute 5 Meter. Endlich war ich oben. Ich rollte ins Festzelt und frenetischer Jubel schlug mir entgegen, als meine Kette wiederwillig nach rechts flog und ich in den Wiegetritt ging. Du kriegst mich nicht, nicht heute!

Als Mr. Specialized ins Ziel kam, hatte ich schon einen Becher Wasser in der Hand und saß auf einer Bank. Das war es mein Lieber! Ich hatte es geschafft und war reichlich am Ende. Nicht nur konditionell, sondern auch in der Wertung der Elitefahrer - aber man kann gar nicht glauben, wie egal mir das ist.

Jens

P.S.: Auf dem MTB habe ich auch schon wieder gesessen, das Leiden geht also weiter.
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