Brevet 600 km ARA Hamburg 13.06.2009

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Herman
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Brevet 600 km ARA Hamburg 13.06.2009

Beitrag von Herman »

Für dieses Frühjahr hatte ich mir die Marathonserie der Audax Randonneurs Allemagne (ARA) vorgenommen. Wer die Strecken von 200, 300, 400, 600 km jeweils in einer Fahrt und einem bestimmten Zeitfenster zurücklegt, darf sich danach Super-Randonneur nennen, was einfach nur Super-Wanderer heißt, aber das zählt auch schon was, jedenfalls unter Eingeweihten. In Deutschland lässt sich von 12 verschiedenen Orten aus starten, aber warum in die Ferne schweifen, wenn auch Kiel einen Stützpunkt hat, von wo aus attraktive Strecken durch die schönsten Gegenden des Landes führen. Indes hatte ich mir für den 600er die ARA Urzelle Hamburg mit Frühstart um 7h ausgesucht (im Unterschied zu Kiel, wo um 21h gestartet wird).
Die Vorfreude war durchmischt mit Nervosität, denn die Messlatte lag bei der Tagestour von 400 km schon hoch genug, alles darüber ist Neuland, Spekulation, Abenteuer. Da ich ohnehin nicht schlafen konnte, fuhr ich zeitig los und stand eine Stunde vor Start auf dem Platz der angegebenen Schule. Weit und breit kein Mensch, auch um halb noch nicht. Das Schicksal hatte für mich entschieden, es sollte eben nicht sein, bis da plötzlich ein Radler um die Ecke bog. Die Anmeldung war auf dem hinteren Platz, wo mich die Frau von Claus Czycholl empfing, der allein den 600er schon 21x gefahren ist. Ich outete mich verschämt als Neuling auf der Strecke und fühlte mich nicht gerade wie ein Athlet. Ob ich denn überhaupt schon mal… Sie sprach nicht zu Ende und zauberte aus dem Schreibtisch ein Formblatt hervor, das ich blindlings unterschrieb. Danach erhielt ich die Wegbeschreibung, die einen übersichtlichen, lesbaren Eindruck machte. Nach kurzem Studium war ich erleichtert, nicht den Brocken im Harz besteigen zu müssen, sondern auf einer großen Acht in heimischen Gefilden bleiben zu können mit den Eckpunkten, Clenze im Süden, Hagenow im Osten, Hohwacht im Norden. Die Entfernung erscheint geringer, als etwa eine Strecke von Hamburg nach Nürnberg fahren zu müssen.
Punkt 7 gingen 13 verwegene Burschen bei strahlender Sonne auf die Strecke mit Hitzacker nach 102 km als erstem Etappenziel. Da waren es nur noch 8, Ludger und Thorsten setzten sich nach vorne ab, 3 Recken waren verlustig und fortan nicht mehr gesichtet. Sollte ich in diesem Tempo weiterfahren, würde ich in 20 h - der Hälfte des Zeitlimits von 40 h - im Ziel sein. Also kürzer treten, das sollte mir nicht schwerfallen, die Gruppe ziehen lassen, meine Strategie war jetzt nur jeweils auf die Einzelstrecken zwischen den 12 Kontrollpunkten gerichtet. Diese waren klug gewählt, Tankstellen, mal eine Bäckerei, zu Mittag ein Restaurant, zu Abend ein Gasthof, mitten in der Nacht ein Nobelhotel, morgens wieder eines mit Frühstück ab 5:45 und schließlich in Hamburg ein Hotel zur Abgabe der Stempelkarte, überall herzlicher Empfang, der es schwer machte, ohne oder mit nur kurzer Pause weiterzuziehen.
Obwohl mir der ewige Wind zu schaffen machte, kam ich irgendwie vorwärts und stieß nach 300 km in Ratzeburg auf Ekki und Bernd, der meinte, den Weg nach Zarpen zu kennen. So wurden aus 40 km gefühlte 80 km. Im Eckkrug trafen wir auf die Mannen des Hauptfeldes. Angesichts der erbrachten und bevorstehenden Leistung wurde ordentlich gebechert und getafelt mit Soljanka-Suppe als russischer Spezialität des Hauses - als vegetarisch angepriesen, aber so viel Wurst und Fleisch habe ich selten in einer Suppe gesehen, dazu bekamen wir jeder noch ein Proviantpäckchen mit auf die Reise. Das alles gefiel mir, so lässt sich eine Tour meistern. Zu dritt ging es hinaus in die trügerische nächtliche Stille – es war genauso windig wie unter Tage - über Eutin, Lensahn nach Hohwacht. Dort zeigten die Randonneure ihr eigentümliches Wesen, der eine wollte sofort weiter, nach Hause, er hätte auch noch was anderes zu tun als nur Radfahren – der andere eine Gartenlaube zum Meditieren suchen, ich mochte mich gern eine Weile in dem warmen Foyer des Hotels aufhalten, war allerdings überhaupt nicht müde und zog nach einer Stunde alleine weiter. Nun spürte ich die Einsamkeit des Langstreckenfahrers, traurig war ich aber nicht, denn vorher waren wir nur mit großen Lücken und nicht wirklich kräftesparend zusammengefahren. 422 km lagen hinter mir, so vermessen mein Start gewesen ist, so wahrscheinlich wurde jetzt das Ziel. Dennoch sei Demut angezeigt, Wetter, Defekte oder Sturz können den Spaßfaktor rapide sinken lassen, dagegen der Weg mit einer gehörigen Portion Glück unbeschwert ins Ziel führt. Brevet wird mit Prüfung übersetzt, da wird Gottlob nicht immer alles geprüft. Glück hatte ich auch, als ich nach einigen Irrwegen – u.a. war ich Pfeilen der RTF von RV Trave nachgefahren - Ekki in HH-Altengamme wiedertraf, der sich auf den letzten 36 km bis ins Ziel sicher auskannte. Hamburg zeigt sich hier eher als Flächenstaat mit tausenden von Gewächshäusern in den Vierlanden, Holland lässt grüßen, natürlich mit Gegenwind, die km zählen gefühlt nicht schneller als beim bikeschieben.
Nach gut 600 km und 31 Stunden bin ich im Ziel, damit ist erst mal das Ende der Fahnenstange erreicht, kein Baum wächst in den Himmel. Super-Randonneur ist doch schon was, für ein Super-Brevet von 1.200 km reicht die Erfahrung und Leidensfähigkeit noch nicht aus – oder doch?

"Je länger die Strecke, desto unbedeutender die Zeit, da allein die Bewältigung der Strecke zu einer eigenen Leistung wird..."
Zuletzt geändert von Herman am Di Aug 04, 2009 15:44, insgesamt 1-mal geändert.
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ArminQ
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Beitrag von ArminQ »

Moin Herman

und wieder einmal Glückwunsch zur weiteren bestandenen Prüfung.
Die "große Acht" war auch mein erster 600er in 2006, es folgte Stefans DK-600er und dann nur zwei Wochen später der Brockenbrevet, der sich auf 675km hinzog. Jede Tour war völlig anders, der Brockenbrevet gewiss der schwerste. Die große Acht sind wir damals mit einem Affenzahn losgefahren, und der Trupp lies so seine Federn. In der Nacht sackte der Schnitt dann stark ein. Ich weiß noch wie ich mich halb bewusstlos durch den Sachsenwald zur vorletzten Kontrolle Altengamme geschleppt habe. Dein Bericht weckt alte Erinnerungen und bekannte Namen in mir.
Wart ihr bei ca. 250km auch bei der Radlerherberge "Alte Schule" bei Neu Bleckede, oder gibt es die etwas nicht mehr?
Mein Bericht zur Grossen Acht steht hier: http://home.versanet.de/~aqua1/rad/ARA2 ... _2006.html
Ich habe damals 29h gebraucht, allerdings war ich in einer kleinen Gruppe unterwegs, mit deinen 31h bist du ziemlich schnell gewesen.

Ob ein 600er für den 1200er reicht? Ich denke bei deiner Beharrlichkeit kannst du es schaffen. Aber sei gewarnt, ab ca.800km lautert eine Grenze die eine harte Prüfung für deinen Körper ist. Es kann sein dass ohne das du es beeinflussen kannst irgend ein Körperteil oder Organ den Dienst verweigert. Wichtig ist eine positive Grundeinstellung.
Mir hat immer die Vorstellung geholfen, dass Weiterfahren das kleinste Übel ist.

In dem Sinne,
viele Grüße
Armin
Sven
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Beitrag von Sven »

Hi Herman,

cooler Bericht :prost: ..Respekt fürs Durchhalten!!

Die Gewächshäuser in Vierlanden werde ich mir morgen auch vom Rad anschauen. Leider muss ich aber noch vorher in die 17°-Elbe springen und am Deich bikeschieben aber das ist vergleichsweise kurzweilig und ein Witz gegen Deine Meisterleistung!!!

Wenn ich also einen Hänger habe, werde ich an Deinen 600er denken und mir gut in den Arsch treten können. Danke. :D

Gruß
Sven
tschüss...man sieht sich!
Herman
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Beitrag von Herman »

ArminQ hat geschrieben:...und wieder einmal Glückwunsch zur weiteren bestandenen Prüfung. Wart ihr bei ca. 250km auch bei der Radlerherberge "Alte Schule" bei Neu Bleckede...?
Ob ein 600er für den 1200er reicht?...
Wichtig ist eine positive Grundeinstellung...Armin
Danke, danke für die vielen guten Wünsche, das tut gut, obwohl ich selbst noch nicht so recht begreife, was alles möglich ist. Heute bin ich beim Schönberger Marathon als Helfer mit dem MTB vorweg gefahren mit einem Schild auf dem Buckel "1. Marathonläufer", der dann im Abstand von 50 m folgte. Im Ziel würdigte der Moderator die Leistung des Siegers mit 2:49 und auch meine als Radbegleiter als herausragend. Ich musste schmunzeln, aber als ich zuhause war, fühlte ich mich so geschafft wie nach dem 600er - seltsam. Der Kopf ist offenbar auf eine bestimmte Strecke eingestellt, wenn die dann zu Ende geht, will man nicht mehr. So oder so ähnlich...
Meine Grundeinstellung zu Super… ist positiv, aber auch nicht mehr, der rechte Enthusiasmus mag noch nicht aufkommen, die Familie zieht auch nicht mit. Wenn es Bayern nicht ist, fahre ich in den Harz, soll dort auch schön sein…

Bleckede haben wir umfahren, ob es die Schule noch gibt weiß ich nicht, die erste Station war Hitzacker gewesen.
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